Organspende und Islamische Ethik – Einige Hinweise für Muslime in der Schweiz
Regensdorf, Dienstag, 09. Oktober 2024
Organspende und Islamische Ethik – Einige Hinweise für Muslime in der
Schweiz
Mit der Einführung der Widerspruchslösung in der Schweiz wird das Thema Organspende für uns alle
relevanter. Ab frühestens 2026 wird jede Person als potenzielle OrganspenderIn betrachtet, es sei
denn, sie hat ausdrücklich festgehalten, dass sie keine Organe spenden möchte. Diese Hinweise
richten sich an Muslime in der Schweiz und soll Klarheit über die islamischen Perspektiven zur
Organspende schaffen sowie praktische Hinweise zur Willensäusserung bieten.
Aktueller Stand:
Bis zur Einführung der Widerspruchslösung gilt die Zustimmungslösung: Organe dürfen nur dann
entnommen werden, wenn die verstorbene Person ausdrücklich zugestimmt hat, beispielsweise
durch eine Spendekarte oder eine Patientenverfügung. Neu wird es in der Zukunft so sein, dass man
explizit seinen Widerspruch gegen eine Organspende festhalten muss. Andernfalls wird man
automatisch als potenzieller Spenderin betrachtet. Die Entnahme der Organe verlangt
Vorbereitungen, die nur im Spital auf der Intensivstation möglich sind. Deshalb kommen nur
Personen für eine Organspende in Frage, die auf einer Intensivstation versterben.
Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass auch unter der neuen Regelung die Angehörigen gefragt werden,
wenn der Wille der verstorbenen Person nicht bekannt ist. Dies kann für die Familie in einer ohnehin
emotional schwierigen Situation zusätzlichen Druck erzeugen.
Verschiedene Ansichten in der muslimischen Tradition:
In der islamischen Tradition gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob eine Organspende
zulässig ist. Eine der zentralen Überlegungen ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde, wobei der
Mensch stets in seiner Ganzheit betrachtet wird, einschliesslich Spiritualität, Vernunft, Persönlichkeit
und Entscheidungsfreiheit.
- Traditionelle Perspektive: Der menschliche Körper wird als „anvertrautes Gut“ betrachtet, um
das wir während unseres Lebens Sorge tragen müssen. Da der Körper als Eigentum von Allah
angesehen wird, darf er nicht verschenkt oder in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden.
Auch nach dem Tod sind die Angehörigen und die Gemeinschaft dazu verpflichtet, den Körper
in seinem ursprünglichen Zustand zu belassen. - Befürwortung der Organspende: Andere Gelehrte argumentieren, dass das Retten von
Menschenleben im Einklang mit den islamischen Prinzipien steht. Sie berufen sich dabei auf
die Primärquellen des Islam, die Vernunft und die Betonung der Barmherzigkeit, um eine
Spende zu rechtfertigen, solange kein kommerzieller Nutzen daraus entsteht.
Wann ist eine Organspende islamisch erlaubt?
Aus verschiedenen ethischen Überlegungen lassen sich bestimmte Bedingungen ableiten, unter
denen eine Organspende als islamisch zulässig betrachtet wird:- Kein kommerzieller Nutzen: Es ist verboten, Organe zu verkaufen oder daraus materielle
Vorteile zu ziehen. Der Körper ist ein Vertrauensgut von Allah und keine Ware. - Vermeidung von Schaden: Die Organspende darf den Spendern keine erheblichen Nachteile
verursachen. Das Risiko und die möglichen Folgen müssen im Einzelfall sorgfältig geprüft
werden. - Zustimmung und Willensäusserung: Die Spende darf nur mit der ausdrücklichen Zustimmung
der betreffenden Person erfolgen. Ist die Person bereits verstorben, sollte der Wille vorher
klar dokumentiert worden sein. - Lebenswichtige Organe nur nach dem Tod: Organe wie das Herz dürfen nur nach dem Tod
gespendet werden, da eine Spende während des Lebens zum Tod führen würde. Die
Definition von „Tod“ ist umstritten, wobei viele Gelehrte den Herzstillstand als eindeutigen
Nachweis bevorzugen. Organspenden sind nur bei klinisch toten Personen möglich, nicht bei
einem normalen Tod. - Spende von Fortpflanzungszellen ist verboten: Es gibt einen breiten Konsens unter
islamischen Gelehrten, dass die Spende von Zellen, die mit der Fortpflanzung in Verbindung
stehen, wie Eizellen und Spermien, nicht erlaubt ist. Dies basiert auf dem übergeordneten Ziel
des Schutzes der Abstammung im islamischen Recht. Auch die Spende der Gebärmutter ist
nicht zulässig.
Berücksichtigung der persönlichen Entscheidung:
Nach der Berücksichtigung aller Kriterien ist es für die FIDS nicht möglich, eine eindeutige
Empfehlung für oder gegen eine Organspende zu geben. Beide Entscheidungen – ob für oder gegen
eine Organspende – müssen individuell von jeder Person selbst getroffen werden. Es bleibt eine
persönliche Entscheidung, die in jedem Fall respektiert werden sollte. Es ist daher ratsam, den
eigenen Willen klar in der Familie und Verwandtschaft zu kommunizieren, um emotionale
Belastungen im Ernstfall zu vermeiden.
Wie kann man festhalten, dass man keine Organspende möchte?
Wenn Sie keine Organspende wünschen, ist es wichtig, diesen Willen klar und schriftlich festzuhalten.
Hier sind einige einfache Schritte, um dies zu tun:
- Spendekarte ausfüllen: Bestellen Sie eine Spendekarte, auf der Sie Ihre Entscheidung gegen
eine Organspende vermerken können. Tragen Sie diese Karte immer bei sich oder legen Sie sie
an einem bekannten Ort ab. Hier gibt es ein Beispiel für die deutsche Spendekarte:
Spendekarte (DE) - Patientenverfügung erstellen: In einer Patientenverfügung können Sie festhalten, dass Sie
einer Organspende nicht zustimmen. Bewahren Sie dieses Dokument so auf, dass es im Notfall
leicht zugänglich ist. - Angehörige informieren: Sprechen Sie mit Ihren Angehörigen über Ihre Entscheidung, damit
sie im Falle eines Falles Bescheid wissen und Ihre Wünsche respektieren können. - Künftiges Register (ab 2026): Sobald die Widerspruchslösung in der Schweiz eingeführt wird,
können Sie sich in einem nationalen Register eintragen, um festzuhalten, dass Sie keine
Organe spenden möchten. Die FIDS wird seine Mitglieder informieren, sobald dieses Register
online ist, und Hinweise zur Eintragung bieten.
Mustertext für den Widerspruch gegen Organspende
Ich, [Vorname, Nachname], geboren am [Geburtsdatum], lehne die Entnahme meiner Organe,
Gewebe und Zellen nach meinem Tod ausdrücklich ab. Diese Entscheidung basiert auf meinen
persönlichen Überzeugungen und meiner religiösen Ansicht.
Datum: [aktuelles Datum]
Unterschrift: [Unterschrift]
Schlussbemerkung
Dieses Dokument soll als Orientierung dienen und die offene Diskussion über die Organspende im
Lichte der islamischen Ethik fördern. Letztendlich streben wir alle danach, nach bestem Wissen und
Gewissen in Übereinstimmung mit den Prinzipien des Islam zu handeln. Daher ist es wichtig, seine
Wünsche klar mit den Angehörigen zu besprechen, um Missverständnisse oder zusätzlichen
emotionalen Druck im Ernstfall zu vermeiden.
